„Gedanken, die mich bewegen …“

Ein Statement zur nachhaltigen Wertschätzung der „systemrelevanten“ Berufsgruppen von Carsten Seitz, Fachbereichsleiter Altenhilfe der AWO Oberlausitz:

Vor wenigen Tagen noch applaudierten ehrliche Menschen von ihren Balkonen für all diejenigen, welche in diesen unsicheren Zeiten für andere Menschen tagtäglich da sind. Unsicher, ob die Nähe zu ihren Kunden und Patienten sie selbst in Gefahr bringen könnte, gingen und gehen sie regelmäßig ihrer Arbeit nach. An dieser Stelle Berufsgruppen herauszugreifen, würde anderen Unrecht tun. Deswegen mache ich es auch nicht. Aber es ist eben so, dass es wirklich aller Zahnrädchen braucht, damit die Uhr am Laufen gehalten wird. Zu selten machen wir uns tatsächlich Gedanken darüber.

Dass die Wertschätzung für andere Berufe oft erst dann wirklich zum Tragen kommt, wenn deren Produkt oder Dienstleistung knapp geworden ist oder gar nicht mehr angeboten wird, ist schon ein wenig traurig. Wie oft habe ich in den letzten Wochen gehört: ‚…also Erzieherin, das musst Du erst mal können!‘ oder ‚Lehrer? Um Himmels Willen‘. Es ist eben nicht nur Ein-Wenig-Auf-Kinder-Aufpassen, Das-Kleine-Ein-Mal-Eins-Beibringen oder Ein-Bisschen-Waren-Über-Den-Scanner-Ziehen. Ich wünsche mir, dass uns das Virus dieses nachhaltig lehrt und die Menschen danach aufmerksamer die Arbeit des Mitmenschen achten. Ich wünsche es mir, aber glauben daran …?

Der Applaus von den Balkonen ist noch gar nicht ganz verhallt, bleibt dem ein oder anderen Verantwortungsträger wohl schon so manches „große Wort“ schier im Hals stecken. Ich ertappe mich schon wieder beim Wünschen. Ich wünsche mir NICHT, dass Pflegekräften und hoffentlich auch all jenen in der Pflege Tätigen, die oft nicht gesehen werden – Mitarbeiterinnen in der Wäscherei, Köche, Reinigungs- und Betreuungskräfte … – erst viel versprochen bekommen – es war von 1.500€ die Rede – und dann enttäuscht werden. Wer das versprochen hat, mag an dieser Stelle einmal offen bleiben. Aber eines geht tatsächlich nicht: erst versprechen – ohne zu wissen, wo das Geld herkommen soll – und dann alle anderen zur Kasse bitten, um am Ende nicht als Schwindler dastehen zu müssen. Schon im „kleinen Leben“ weiß man, dass man nur jenes versprechen kann, was auch erfüllbar ist. Aber wie gesagt, ich wünsche es mir, aber glauben …?

Ich war von Beginn an nicht für eine Prämienzahlung nach dem Gießkannenprinzip – obwohl sich meine Kolleginnen und Kollegen zweifellos jeden Cent verdienen. Vielmehr plädiere ich dafür, dass all das getan wird, was wirklich nachhaltig wertschätzend ist, den Beruf attraktiver und erfüllter machen kann. Es wäre schön, dass Personalschlüssel nicht so eng bemessen sind, dass in Urlaubszeiten und wenn es Erkrankungshäufungen gibt, nicht sofort freie Wochenenden und somit Zeit mit der Familie ausfallen müssen, dass Pflegekräfte tatsächlich Zeit für den zu pflegenden Menschen haben, dass nicht die Bürokratie Zeit stiehlt, die eigentlich für Zuwendung zur Verfügung stehen sollte …

Ja, es gibt viele Wünsche, aber auch die Befürchtung, dass nach der Krise wieder alles viel zu schnell auf den alten Schienen – und vielleicht noch viel schneller – laufen wird/muss.

Aber ich möchte auch Mut machen, weil ja jeder im Kleinen beginnen kann, die Welt etwas besser zu machen – eben, weil er seinen Mitmenschen, seinen Kollegen und das was er zum Lauf des Uhrwerkes beiträgt, wertschätzt und achtet.